Starchefs

Chefin Noémie, Seezunge & Milken für Politiker

Stammgäste, Plattfische und mehr: Als Praktikant bei Noémie Bernard im Familienbetrieb «Sternen» in Walchwil.

Text: David Schnapp | 3. April 2025

Ungewöhnliches Duo. «Wir haben es mit Lehrlingen ver­sucht und mit einem drit­ten Koch, aber am besten funk­tio­niert es zu zweit», sagt Noémie Bernard im Restaurant Sternen (15 Punkte) an bester Zugersee-Lage in Walchwil. Zusammen mit ihrem Vater Giorgio bil­det die 33-Jährige das wohl unge­wöhn­lich­ste Küchen-Duo in der an Vielfalt durch­aus rei­chen Welt der GaultMillau-Restaurants in der Schweiz. Sie ist die Chefin, der erfah­re­ne 71-jäh­ri­ge Koch («Ich füh­le mit fit­ter als mit 50») ver­ant­wor­tet den Saucier-Posten und hat kaum Einwände, wenn sei­ne Tochter die Richtung vor­gibt. Mutter Anita lei­tet mit Übersicht den Service, und dass die­se Konstellation offen­sicht­lich kon­flikt­frei funk­tio­niert, ist nicht nur, aber gera­de in einem for­dern­den Gewerbe wie der Gastronomie aus­ser­ge­wöhn­lich. Seit 2018 arbei­tet die Familie Bernard in die­ser Konstellation zusam­men, zur Zufriedenheit aller Beteiligten – Gäste und Hausbesitzer eingeschlossen.

Eine freund­li­che Familie: Giorgio, Noémie und Anita Bernard (v.l.).

Heimelig: Gaststube im Restaurant Sternen, Walchwil.

Frischer Fisch: Noémie Bernard nimmt die Lieferung von Bianchi entgegen.

Lektion in Seezungen-Anatomie. Als Praktikant bekom­me ich abwech­selnd von Noémie und Giorgio Bernard Aufgaben zuge­teilt. Er zeigt mir, wie die exakt 32 Kalbsbacken ange­setzt wer­den, die davor zwei Tage lang mit Wurzelgemüse in Rotwein mari­niert wur­den, dann ange­bra­ten und schliess­lich rund drei Stunden im Ofen geschmort wer­den. Danach erhal­te ich von ihr eine Lektion in Seezungen-Anatomie: Die frisch von Bianchi gelie­fer­ten Plattfische müs­sen ent­häu­tet und file­tiert wer­den. Ein klei­ner Schnitt vor der Schwanzflosse, dann kann auf jeder Seite die Haut mit etwas Kraftaufwand abge­zo­gen wer­den. Amüsantes Detail: die der Meeresoberfläche abge­wand­te Seite der Fische ist weiss, die zum Licht wei­sen­de Seite ist gewis­ser­mas­sen gebräunt. Mit den Fingerspitzen lässt sich dann die Mittelgräte erta­sten, um mit einem fla­chen fle­xi­blen Messer und in mög­lichst einem Zug eines von vier Filets von den Gräten zu tren­nen. Beim fünf­ten Fisch gelingt das schon ganz ordent­lich. Was übrig bleibt, wird anschlies­send mit einer Schere vom Kopf befreit, der zusam­men mit dem oran­ge­far­be­ne Laich ent­sorgt wird. Die zer­teil­ten Karkassen hin­ge­gen bil­den spä­ter die Basis für eine Sauce.

Ein paar Schnitte genü­gen: Der Praktikant file­tiert Seezungen.

Frisch gelie­fert, file­tiert und gebra­ten: Seezungen-Stücke in der heis­sen Pfanne.

To do: Aufgabenliste für den Küchen-Praktikanten.

Schönheit und Brutalität. In die­sen Arbeitsschritten liegt gleich­zei­tig Schönheit, aber durch­aus auch eine gewis­se Brutalität. Während ich Fischskelette in Stücke schnei­de, kommt mir der Essay «Am Beispiel des Hummers» von David Foster Wallace in den Sinn. Der Autor denkt beim Anblick des Krustentiers, das leben­dig in kochen­des Wasser gege­ben wird, über des­sen Leiden nach. Immerhin, die Fische hier in Walchwil lei­den nicht und lan­ge bleibt mir für die­se Art gedank­li­cher Ausschweifungen auch nicht Zeit, zwei Portionen Seezunge müs­sen im lau­fen­den Mittagservice ser­viert wer­den. Die Fischfilets wer­den leicht mit Stärke bestäubt und mit Salz gewürzt, gebra­ten und lie­gen dann in einer auf­ge­schäum­ten weis­sen Buttersauce bereit zur Abholung am Pass.

Erst Fisch, dann Fleisch: Noémie Bernard zeigt Autor Schnapp, wie man pochi­er­tes Kalsbries zerteilt.

Kalbsbries für den Regierungsrat. Ein Regierungsrat ist zum Mittagessen da sowie vor­wie­gend wei­te­re Stammgäste. Die Bernards ken­nen ihre Kunden genau, ser­viert wird zwar ein Überraschungsmenü, wobei aber auf indi­vi­du­el­le Vorlieben Rücksicht genom­men wird. Immer wie­der dis­ku­tie­ren die bei­den Köche kurz dar­über, wel­ches Gericht, wel­chem Gast schmecken könn­te. Für den Politikertisch gibt es pochi­er­tes, panier­tes und gebra­te­nes Kalbsbries – vom Praktikanten zuvor gewis­sen­haft in Stücke zer­teilt und von den fei­nen Zwischenhäuten befreit. Den Rest des Vormittags ver­brin­ge ich damit, Blutorangen zu file­tie­ren und ein hal­bes Dutzend gebacke­ne Randen in Würfel zu schnei­den, «etwas klei­ner», lau­tet die Bitte der Chefin nach den ersten Stücken. «Das gibt die neue Vorspeise», sagt Noémie Bernard.

Praktikanten-Job: Blutorangen-Filets für die Vorspeise.

Amuse Bouche: gebeiz­ter Lachs, Blutorange und Grumolo Rosso.

Frische Luft und ein Espresso am See: Köchin Noémie Bernard mit GaultMillau-Autor Schnapp.

Fragen am Zugersee. Nach dem Service ist am neb­lig ver­han­ge­nen Zugersee Zeit für ein paar Fragen zum Arbeitsmodell der Familie Bernard. «Für mich funk­tio­niert das her­vor­ra­gend. Mir ist klar, dass ich irgend­wann eine neue Lösung brau­che, aber solan­ge mein Vater will und kann, bin ich froh», sagt Noémie. Sie sei das Gesicht des Restaurants, ver­ab­schie­de die Gäste und gibt die Richtung vor, «aber vie­les bespre­chen wir gemein­sam». Ihre Küche, sagt Noémie, sol­le klas­sisch fran­zö­sisch sein, «mit Geschmack, Butter und Rahm und manch­mal mit einem asia­ti­schen Einschlag». Während ich mich ins Auto set­ze, um ein Stück um den See zu fah­ren, und dann die Zimmerstunde in einem Café zu ver­brin­gen, fällt mir auf, dass mei­ne Hände trotz des mehr­fa­chen Waschens immer noch nach Fisch rie­chen. Das ist, fin­de ich, unter «die sinn­li­che Seite des Jobs» zu ver­mer­ken und gar nicht so unan­ge­nehm, wie man viel­leicht anneh­men könn­te. Wie eine leich­te Meeresbrise beglei­tet mich der Duft beim Blick auf den ver­han­ge­nen Zugersee.

Erstaunliche Harmonie: Seit 2018 kochen Noémie und Giorgio Bernard zusam­men im «Sternen».

Südtiroler Pasta. Der Abendservice rauscht spä­ter fast unbe­merkt an mir vor­bei. Während Vater und Tochter wei­ter­hin in unver­brüch­li­cher Harmonie und in unauf­ge­reg­ter Routine Teller um Teller «schicken», wie das in der Küche heisst, erle­di­ge ich gewis­sen­haft die Vorbereitungsarbeiten. Noémie Bernard dreht zwi­schen­durch immer wie­der mal etwas Teig durch die Nudelmaschine. Aus den dün­nen Bahnen ste­che ich dann Kreise aus, fül­le sie mit einer Spinat-Frischkäsemasse und fal­te die­se zu Halbmonden. Drei Bleche mit je 30 sol­cher Schlutzkrapfen als Roggenmehl sind am Ende pro­du­ziert. Ein Südtiroler Arme-Leute-Essen aus der Heimat von Giorgio Bernard. Knödel hin­ge­gen wer­den nicht ser­viert, da legt Anita Bernard, eine gebür­ti­ge Appenzellerin, reso­lut ihr Veto ein. Im «Sternen» in Walchwil, soviel steht fest, hat jeder aus der Familie Bernard ein Mitspracherecht. «Super gemacht», ver­ab­schie­det Chefin Noémie Bernard den Praktikanten, und so lan­ge die Fahrt nach Hause dau­ert, bil­de ich mir dar­auf etwas ein.

» Sternen Walchwil

Fotos: Rémy Steiner