Life & Style
Ein Leben für die Bruderhähne
Auch männliche Küken sollen leben. Damit die Aufzucht funktioniert, braucht es mehrere Player.
2. November 2022
Text: Kathia Baltisberger | Fotos: Fabienne Bühler
Im Paradies. Im Rheintal regnet es in Strömen. Bei diesem Wetter wollen die Bruderhähne auf dem Hof von Ueli Sturzenegger in Grabs SG nicht auf die Wiese. Ihnen bleiben zwei Optionen: Sie können im Stall bleiben, wo es angenehm warm ist. Wo sie Futter und einen «Baum» haben. Oder sie gehen in den Wintergarten – ein überdachter Stall. Dort können sie im Sand scharren, einzelne Halme aus den Strohballen rupfen oder auf ein Gerüst klettern. Es ist ein aussergewöhnlicher Ort. Nicht nur, weil der Stall extrem hohen Standards entspricht, sondern auch weil es männliche Küken sind, die Ueli Sturzenegger hier aufzieht. Die sogenannten Bruderhähne sind die Brüder der Legehennen. Und eigentlich werden sie nicht älter als einen Tag. Kurz nach dem Schlüpfen werden sie getötet. Weil sie keine Eier legen und im Verhältnis zu dem, was sie fressen, zu wenig Fleisch anlegen, sind sie nicht rentabel.
Der Bruderhahn ist der Bruder der Legehenne.
Ueli Sturzenegger zieht sie auf seinem Bio-Hof auf.
Die männlichen Küken werden nach dem Schlüpfen getötet. Bis 2026 braucht es Lösungen.
Konstruktive Lösungen. Ab dem 01.01.2026 sollen alle männlichen Küken, also die Brüder der Hennen leben. So will es Bio-Suisse. Die Burgmer Geflügelzucht AG handelt jetzt schon und organisiert die Aufzucht auf verschiedenen Höfen in der ganzen Schweiz. «Wichtig ist, dass man jetzt damit anfängt», sagt Stefan Schmid, Geschäftsführer bei Burgmer. «Damit sich die Bruderhähne finanzieren lassen, muss die Aufzucht über das Ei quersubventioniert werden.» Das heisst, der Konsument zahlt mehr für Bio-Eier und finanziert so die Aufzucht.
Der Stall von Bauer Sturzenegger entspricht hohen Bio-Standards. Grosses Plus: Der Blick auf den Alpstein.
Stefan Schmid ist Geschäftsführer der Burgmer AG und erklärt, wie die Aufzucht von Bruderhähnen gelingt.
Nils Osborn von der SV Group (l.) und Urs Reist von Bianchi haben grosses Interesse an den Bruderhähnen und spannen zusammen.
Die Bruderhähne sind zutraulich bei Landwirtin Melanie und knabbern an ihren Gummistiefeln.
Der Stall verfügt über drei Zonen: einen warmen Innenstall, einen «Wintergarten» und den Aussenbereich.
Fleisch muss genutzt werden. Die Rechnung geht aber nur auf, wenn auch das Fleisch des Bruderhahns konsumiert wird. Das Fleisch der männlichen Tiere hat mehr Biss und auch geschmacklich ist es anders als das gewohnte Pouletfleisch. Es ist intensiver und aromatischer. Hier kommt die Firma Bianchi ins Spiel. Der Delikatessenhändler ist stets daran, nachhaltige Produkte aus der Schweiz zu fördern und zu verkaufen. Das Bruderhahn-Projekt passt da bestens ins Portfolio. Die SV Group aber auch verschiedene Starchefs haben immer mehr Interesse daran. Die Gastronomie- und Hotelmanagement-Gruppe SV betreibt öffentliche Restaurants, Hotels und Personalrestaurants im ganzen Land. Von der ETH-Mensa bis zum exklusiven Personalrestaurant der Nationalbank ist alles dabei. «Wir wollen zusammen mit der SV Group etwas Nachhaltiges aufbauen. Ein ehrliches und herzensnahes Projekt das Sinn und Freude macht und das Tierwohl in den Vordergrund stellt», sagt Urs Reist von Bianchi.
Melanie Signer (Landwirtin), Urs Reist (Bianchi) , Nils Osborn (SV Group) und Ueli Sturzenegger (Landwirt) (v.l.).
Ueli und Melanie schauen mehrmals täglich, ob es allen Bruderhähnen gut geht.
Patty, Meatballs, Hackbraten. Bianchi arbeitet jetzt in Absprache mit SV an möglichen Produkten. Zum Beispiel ein Bruderhahn-Patty für einen Bio-Burger, Hackbraten, Meatballs oder ein Geschnetzeltes vom Bio-Bruderhahn. Wo die Produkte zum Einsatz kommen ist noch unklar. «Wir werden die Bruderhahn-Produkte punktuell einsetzen. Es hängt vom Gast, aber auch vom Küchenchef ab. Wir sehen auf jeden Fall grosses Potenzial», sagt Nils Osborn. Der ehemalige 14-Punktechef des Restaurants Spitz im Landesmuseum ist seit einigen Monaten Culinary Innovation Manager der SV Group. «Das Bruderhahn-Projekt ist wirklich eine tolle Geschichte, die natürlich hervorragend zu unserer umfassenden Nachhaltigkeitsstrategie passt.»
Im Wintergarten können sich die Bruderhähne austoben.
Damit die Bruderhahn-Aufzucht funktioniert, muss man es übers Ei quersubventionieren.
Viel Zuwendung. Ueli Sturzenegger hat seinen Hof vor zwei Jahren auf Bio umgestellt. Aktuell leben im Stall rund 4000 Bruderhähne. Sie sind 49 Tage alt, geschlachtet werden sie mit 12 bis 13 Wochen. Zu fressen kriegen sie ausschliesslich Bio-Futter, ein Mix aus Getreide, Mais und im Sommer Gras von der Weide. Und die Tiere bekommen wirklich viel Zuwendung. Ueli Sturzenegger oder seine Mitarbeiterin Melanie Signer laufen mehrmals täglich durch die Aufzucht und schauen, ob es allen gut geht und ob die Technik der Anlage einwandfrei funktioniert. Abends, wenn die Tiere in den Stall müssen, braucht es nochmals Nerven. «Die Bruderhähne sind wie Kinder. Die wollen auch nie ins Bett», scherzt Sturzenegger.