Starchefs

Gregor Smolinsky: Tour mit dem Frühaufsteher

Mit Gregor Smolinsky («Sihlhalde», Gattikon) früh­mor­gens in der Zürcher Markthalle & bei Fischhändler Bianchi.

Text: David Schnapp | 11. März 2025

Die Nacht zum Tag. Der Tag beginnt für ein­mal schon in der Nacht, ihr schwar­zer Schleier liegt blick­dicht über der Stadt Zürich. Die Ampeln sind noch gar nicht in Betrieb, und nur ver­ein­zelt ist auf den dunk­len Strassen mensch­li­che Bewegung wahr­zu­neh­men. Im Zürcher Engrosmarkt hin­ge­gen ist um 4.45 Uhr die gröss­te Aufregung schon vor­bei. Die mei­sten Lieferwagen der weit­um täti­gen Gemüselieferanten sind um die­se Zeit bereits los­ge­fah­ren, die Stimmung zwi­schen Kisten mit exo­ti­schen Früchten, Gemüse der Saison und den ersten unver­meid­li­chen, eher grün­weiss als rot leuch­ten­den Erdbeeren ist heiter-kollegial.

Zwei Generationen, ein Beruf: Gregor und Jürg Smolinsky im Zürcher Engrosmarkt.

«Dreamteam.» An die­sem zugleich sach­li­chen und exo­ti­schen Ort tref­fen wir die Smolinskys; Sohn Gregor und Vater Jürg sind aus­nahms­wei­se zusam­men auf dem gröss­ten Markt der Schweiz unter­wegs. Normalerweise fährt Jürg Smolinsky ein- bis zwei­mal pro Woche zusam­men mit einem Kollegen hier­her und holt für Gregor alles, was er an pflanz­li­chen Zutaten bestellt hat. Seit 50 Jahren ist Smolinsky der Ältere hier Kunde, 36 Jahre lang führ­te der heu­te 80-Jährige das Restaurant Sihlhalde in Gattikon bei Thalwil, ehe er das Geschäft ab 2003 schritt­wei­se sei­nem Sohn über­gab. Smoly jun. über Smoly sen.: «Es gab Generationen- und Interessenskonflikte, aber mit der Zeit haben wir uns zum Dreamteam entwickelt.»

Zürich um 4.45 Uhr: Engrosmarkt im Industriequartier West.

Buntes aus aller Welt: fri­sche Mango auf dem Engrosmarkt.

Fleischkäsesandwich als Tradition. Im Marktcafé mit sei­nem grel­len Neonlichtcharme isst Jürg Smolinsky wie bei jedem Besuch noch ein Fleischkäsesandwich, dann fährt er mit einem Auto vol­ler Stängelkohl, Catalogna (Blattzichorie), Mangos und vie­lem mehr zurück ins Restaurant. Gregor Smolinksy nimmt uns wäh­rend­des­sen mit zu einer wei­te­ren Quelle guter Produkte und zu sei­nem wohl wich­tig­sten Lieferanten: Seit 1972 bringt die Firma Bianchi aus Zufikon AG fri­schen Fisch und ande­re Meeresprodukte in bester Qualität in die «Sihlhalde». Auch die­ser Tradition ist «Smoly», wie Gregor Smolinksy von Menschen, die ihn gut ken­nen, genannt wird, treu geblieben.

Chefs in der fünf­ten Generation: Luca und Dario Bianchi in der neu­en Mitarbeiterkantine am Firmensitz in Zufikon AG.

Makrelen auf Eis. Luca und Dario Bianchi, die bei­den jun­gen Chefs, die das Familienunternehmen in der fünf­ten (!) Generation wei­ter­füh­ren, tele­fo­nie­ren um 7 Uhr hoch­kon­zen­triert mit ihren besten Kunden. Kistenweise lie­gen unten in der Ankunftshalle fri­sche japa­ni­sche Makrelen, ein­zeln auf Eis in schnee­weis­se Styroporboxen gebet­tet. Bretonische Jakobsmuscheln, Zander aus dem Lago Maggiore oder auch ein acht Kilogramm schwe­res Prachtexemplar eines Wolfsbarschs war­ten hier im eisi­gen Dunst, bevor sie in den typi­schen weis­sen Lieferwagen mit dem roten Bianchi-Krebs aus­ge­lie­fert wer­den. Auch der Delikatessenhandel ist ein Frühaufstehergeschäft: «Wir begin­nen um 4.30 Uhr.

Frisch aus Frankreich: bre­to­ni­sche Jakobsmuscheln von Bianchi.

In der Küche trägt er Polo-Shirt: Gregor Smolinsky am Herd.

Ländliche Gemütlichkeit. Damit die Ware am näch­sten Tag hier ist, muss man recht­zei­tig bestel­len», sagt Luca Bianchi. Vom geschäf­ti­gen Fischhandel geht es in die länd­li­che Gemütlichkeit: Die «Sihlhalde» war erst eine Bauernbeiz in einem Haus aus dem 17. Jahrhundert und wur­de 1972 von den Smolinskys als Restaurant eröff­net. Eine Landwirtschaft im wört­li­chen Sinn: Vom Küchenfenster aus sind ein sanft anstei­gen­der Weg und etwas Wald zu sehen, der Blick ist frei, die Lage unver­baut. Neben dem Riegelhaus, in dem die «Sihlhalde» unter­ge­bracht ist, leben ein paar Hühner, deren Eier Gregor Smolinsky wäh­rend Abwesenheiten des Besitzers für sei­ne Zwecke nut­zen kann.

Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert: Restaurant Sihlhalde in Gattikon (16 Punkte).

Erst Elektroniker, dann Koch. Während er jetzt in der Küche mit den nied­ri­gen Decken am Herd steht, mit weni­gen siche­ren Handgriffen das Gemüse rüstet und in schnel­ler Folge Jakobsmuscheln auf­bricht, strahlt der gross­ge­wach­se­ne Koch Selbstverständlichkeit aus. Dabei hat der 49-jäh­ri­ge Vater zwei­er Teenager sich zu Beginn sei­nes Berufslebens «dage­gen gewehrt, Koch zu wer­den», wie er sagt. Der jun­ge Smoly begann eine Lehre als Elektroniker, die er nach fünf Monaten abbrach, um doch noch eine Ausbildung als Koch zu machen. «Mir war immer klar, dass Gastronomie nur mit einem gros­sen per­sön­li­chen Opfer mög­lich ist, das hat­te ich bei mei­nen Eltern gese­hen. Und bevor ich das anfan­gen konn­te, muss­te ich erst für mich Klarheit schaf­fen», sagt er rückblickend.

«Harte Schule.» So gründ­lich, wie er sich das über­legt hat­te, ging Gregor Smolinsky das Kochen dann auch an. Fünf Jahre lang arbei­te­te er in der Westschweiz bei Adolf Blockbergen und 19-Punkte-Chef Philippe Rochat. «Das war wie eine Universitätsausbildung. Da habe ich gelernt, was klas­si­sche Küche bedeu­tet, weil das kuli­na­ri­sche Spektrum viel grös­ser war als in der Deutschschweiz», sagt Smolinsky. Das sei «eine har­te Schule in einer rau­en Zeit gewe­sen». 60, 70 Stunden pro Woche und Kollegen, die wäh­rend der Arbeit vor Erschöpfung umkipp­ten, sind ihm in Erinnerung geblieben.

Erinnerung an die Westschweiz: Jakobsmuschel in der eige­nen Schale mit Catalogna.

Unkomplizierte Marktküche: gebra­te­ner Seehecht mit Cima di Rapa und Beurre blanc.

Neun Wochen Ferien. Diese Arbeitsweise hat Gregor Smolinsky nicht über­nom­men, sei­nen Mitarbeitern gewährt er bei­spiels­wei­se neun Wochen bezahl­te Ferien. Anderes hin­ge­gen ist dem Koch aus sei­ner Zeit in der Westschweiz geblie­ben, etwa die in der eige­nen Schale ser­vier­te Jakobsmuschel oder der Seehecht, den Smolinsky am Morgen bei den Bianchis geholt hat und jetzt kurz in der Pfanne brät. Dazu etwas Cima di Rapa, Chicorino Rosso und klas­si­sche Beurre blanc. «Ich koche so, wie ich selbst ger­ne esse», sagt er.

«Ich koche so, wie ich selbst ger­ne esse»: Gregor Smolinsky in sei­ner Küche mit Blick ins Grüne.

«Weniger ist mehr.» Sein Stil las­se sich mit der Formel «Weniger ist mehr» zusam­men­fas­sen. Damit die Gäste wie­der­kom­men, das hat Gregor Smolinsky in all den Jahren als selb­stän­di­ger Gastronom ohne Querfinanzierung gelernt, müs­se man «geer­det kochen». Die belieb­ten Schmorbraten-Ravioli mit hauch­dün­nem Teig hat­te schon sein Vater auf der Karte. Und der Hackbraten, der aus der Corona-Not gebo­ren wur­de, ist mitt­ler­wei­le ein «Sihlhalde»-Kultprodukt. «Ich ste­he immer noch jeden Tag ger­ne in der Küche», sagt Gregor Smolinsky zum Schluss. Es sei anspruchs­voll, «aber einer der schön­sten Jobs, die es gibt».

Fotos: Joan Minder