Die Produzenten der Starchefs

«Wir kön­nen uns kei­ne Fehler erlauben»

Dario und Luca Bianchi füh­ren gemein­sam die Bianchi AG. Das Interview über Qualität, Respekt & stu­re Köche.

 
von Kathia Baltisberger | Mai 2024

Ich habe die Anekdote gehört, dass wäh­rend des Gourmet Festivals in St. Moritz der Julierpass gesperrt war. Bianchi hat alle Lieferungen in Landquart in ein Bianchi-Wägeli gela­den und der Fahrer ist via Italien nach St. Moritz gefah­ren und hat pünkt­lich gelie­fert. Ist das eine ein­ma­li­ge Geschichte oder ein­fach Standard bei Bianchi?

Luca Bianchi: Diese Geschichte ist kei­ne Ausnahme. Genau das, zeich­net uns aus.
Dario Bianchi: Wir könn­ten noch vie­le Geschichten erzählen!

Nur zu!

Luca Bianchi: Es kommt immer mal wie­der vor, dass Zermatt ein­ge­schneit ist. Dann orga­ni­sie­ren wir einen Helikopter und lie­fern unse­re Produkte so ins Dorf. Oder ein­mal hat ein Kunde einen Bluefin Tuna bestellt. Der Mitarbeiter, der ihn lie­fern soll­te, kam zu uns und frag­te: ‹Wie soll ich den aus­lie­fern? Der wiegt 300 Kilo!› Da muss­ten wir erst eine Hebebühne organisieren.
Dario Bianchi: Bei den Kochweltmeisterschaften in Belgien wur­de der Fisch aus Holland nicht zum Wettbewerb gelie­fert, son­dern hier­her nach Zufikon. Da ist ein Mitarbeiter in den Wagen gestie­gen und mit dem Fisch nach Belgien gefah­ren. Manchmal den­ken wir uns spe­zi­el­le Lösungen für bestimm­te Lokale aus. Für ein Restaurant am Vierwaldstättersee, das eine extrem schma­le Zufahrtsstrasse hat, haben wir eines unse­rer Bianchi-Wägeli so umge­baut, dass der Fahrer direkt vors Haus lie­fern kann. Das ist unser Alltag. Wir sind jeden Tag mit Herausforderungen kon­fron­tiert. Unser Ziel ist, dass jeder Kunde pünkt­lich sei­ne Ware erhält. An Weihnachten gehen wir erst nach Hause, wenn jedes Produkt beim Kunden ange­kom­men ist.
Luca Bianchi: Wir kön­nen uns halt kei­ne Fehler erlau­ben, weil unse­re Produkte sehr deli­kat sind. Deshalb sind Dario und ich jeden Morgen bereits um 5 Uhr im Betrieb, damit wir all­fäl­li­ge Probleme ange­hen und lösen können.

Luca Bianchi ist im Familienunternehmen für die Abteilung Fisch verantwortlich.
Kanpachi und Rascasse (Drachenkopf): Die Bianchi AG lie­fert den Köchen jeden Fisch. Luca Bianchi ist im Familienunternehmen für die Abteilung Fisch verantwortlich.

Gerüchten zufol­ge gibt es noch ein paar weni­ge Köche, die Fleisch und Fisch aus­schliess­lich bei euren Vätern Paolo und Giulio Bianchi bestel­len und kei­nen ande­ren Verkäufer dulden.

Luca Bianchi: Sagen wir mal so: Es gibt eine gewis­se Rangfolge. Unsere Väter sind noch ope­ra­tiv tätig und haben ein paar weni­ge eige­ne Kunden. Dazu gehö­ren Topköche, die eben sehr auf die­se Person fokus­siert sind und mit denen sie teils schon seit Jahrzehnten zusammenarbeiten.

Und was pas­siert, wenn sich eure Väter voll­stän­dig aus dem Geschäft zurückziehen?

Dario Bianchi: Dann müs­sen besag­te Köche halt gleich­zei­tig in Pension gehen. (lacht)
Luca Bianchi: Unsere Väter haben bereits eini­ge Kunden abge­ge­ben. Aber mit vie­len Köchen pfle­gen sie ein freund­schaft­li­ches Verhältnis. Peter Knogl (Cheval Blanc im Hotel Les Trois Rois in Basel, Anm.d.Red) ruft Darios Vater Giulio auch ger­ne mal um Mitternacht an, um etwas zu bestellen.

Dario Bianchi ist für die Sparte Fleisch ver­ant­wort­lich. Beste Qualität erkennt man beim Bar de Ligne unter ande­rem an den Kiemen.

Ihr seid die CEOs in der Firma, eure Väter Paolo und Giulio Bianchi sind im Verwaltungsrat. Wie viel haben sie effek­tiv noch zu sagen?

Dario Bianchi: Strategisch haben sie schon eine gros­se Verantwortung. Sie haben bei­de ihre Spezialthemen, bei denen sie sich einbringen.
Luca Bianchi: Bei allen zukunfts­ge­rich­te­ten Themen, die nichts mit Ein- und Verkauf zu tun haben, mischen sie sich nicht mehr ein. Wenn es um IT oder Marketing geht, las­sen sie uns freie Hand. Auch bei Sitzungen zu den Neu- und Umbauten sind sie gar nicht mehr dabei. Ihnen ist wich­tig, dass die Zahlen stim­men und die Kunden zufrie­den sind.

Apropos bau­en: Das Bianchi-Areal in Zufikon ist eine gros­se Baustelle. Was wird alles neu?

Dario Bianchi: Wir mer­ken ein­fach immer wie­der, dass wir mit unse­ren Räumlichkeiten an Grenzen stos­sen. Zuletzt haben wir viel in die Fleischproduktion inve­stiert und eine neue Fleischerei gebaut. Jetzt sind wir bei unse­rem Kerngeschäft, dem Fisch, wie­der etwas zu klein. Wir ver­grös­sern die Fischerei und die Delikatessenabteilung. Neu wird es einen Pilzraum geben, wo wir mit ver­schie­de­nen Temperaturen arbei­ten kön­nen. Und die Büros für den Verkauf müs­sen ver­grös­sert werden.
Luca Bianchi: Wir machen auch so viel neu, um den Arbeitsort auf­zu­wer­ten und unse­ren Mitarbeitern ein attrak­ti­ves Arbeitsumfeld zu schaffen.
Dario Bianchi: Neu ist auch, dass wir einen drit­ten CEO haben. Alessandro Battaglia ergänzt uns qua­si als neu­tra­le Person. Er ist jemand, der immer sach­lich bleibt. Das ist wich­tig in einem Familienbetrieb, gera­de wenn es emo­tio­nal wird.
Luca Bianchi: Mit unse­rem Standort in der Westschweiz hat der Betrieb grund­sätz­lich an Komplexität gewon­nen. Mit Alessandro kön­nen wir uns ein­fach noch brei­ter aufstellen.

Bauherren: Auf dem Bianchi-Areal in Zufikon AG wird inten­siv gebaut.

Was macht ihr anders als eure Vorgänger?

Dario Bianchi: Wir haben ein funk­tio­nie­ren­des Geschäft über­nom­men, das sehr gut auf­ge­stellt ist, und wir konn­ten das Erfolgsrezept über­neh­men. Wir haben gese­hen, was Sinn ergibt und was funk­tio­niert. Das möch­ten wir nicht ver­än­dern. Aber wir leben in einer Zeit, wo vie­les digi­ta­ler ist. Diesen ganz bru­ta­len Telefonverkauf von frü­her gibt es nicht mehr. Heute läuft vie­les über Mail, Whatsapp oder den Onlinshop. Die Kommunikationswege zu unse­ren Kunden haben sich geän­dert. Das bedeu­tet jedoch nicht, dass wir weni­ger mit unse­ren Kunden in Kontakt sind.
Luca Bianchi: Wir sind heu­te etwas pro­fes­sio­nel­ler auf­ge­stellt. Bianchi war am Anfang ein Betrieb mit 40 Mitarbeitern. Als wir über­nom­men haben, waren es 300 und heu­te sind es noch mehr. Die Strukturen waren immer noch die eines KMU mit 40 Angestellten. Dadurch laste­ten zu vie­le Verantwortlichkeiten auf den Schultern unse­rer Väter. Da sind wir jetzt pro­fes­sio­nel­ler auf­ge­stellt, sodass das Geschäft auch läuft, wenn wir nicht da sind.

Wie war das eigent­lich, als ihr in den Betrieb ein­ge­stie­gen seid? Zwei Studierte! Haben euch die Büezer in der eige­nen Firma ernst genommen?

Dario Bianchi: Unsere Väter haben das Geschäft immer sehr fami­li­är gelebt. Und wir waren von Anfang an ein Teil die­ser Familie. Deshalb war immer ein gros­ser Respekt vor­han­den. Und für vie­le war es eine Sicherheit, dass eine näch­ste Generation den Betrieb übernimmt.
Luca Bianchi: Ein Generationenwechsel ist einer­seits schwie­rig, gleich­zei­tig aber auch ein gros­ser Mehrwert. Die Angestellten wis­sen, dass es wei­ter­geht und die Firma nicht an irgend­ei­nen gros­sen Player ver­kauft wird. Diese Unterstützung haben wir immer gespürt. Und wir haben ein sehr brei­tes Einführungsprogramm durch­lau­fen. Wir wur­den in allen Bereichen eingearbeitet.
Dario Bianchi: Sicher gab es eini­ge weni­ge, die Mühe hat­ten, dass wir über­neh­men. Aber die haben sich mitt­ler­wei­le damit arran­giert, dass jemand mit neu­en Ideen kommt.
Luca Bianchi: Es erfor­der­te sicher auch von unse­rer Seite eine gewis­se Demut. Wir haben das wirt­schaft­li­che Know-how. Von der Produkteseite her muss­ten wir sicher­lich sehr viel lernen.

Die Cousins und Co-CEOs der Bianchi AG sind sich in Geschäftsfragen immer einig. Eine Neuheit bei Bianchi: Kanpachi aus dem Golf von Mexiko.

Dario, Sie sind für das Fleisch zustän­dig. Luca, Sie für den Fisch. Wie kam es zu die­ser Aufteilung?

Luca Bianchi: Wir haben bei­de alles ange­schaut und uns das Know-how ange­eig­net. Als unse­re Väter ver­ant­wort­lich waren, haben wir ent­schie­den, übers Kreuz zu arbei­ten. Das heisst: Ich habe mit Darios Vater Giulio den Fisch gemacht und Dario hat sich mit mei­nem Vater ums Fleisch geküm­mert. Diese Aufteilung hat den Druck raus­ge­nom­men. Es war sicher ein­fa­cher mit dem Onkel zu arbei­ten als mit dem Vater. Diese Formel hat sich bewährt und jetzt haben sich die Interessen ent­spre­chend entwickelt.

Die Chefs ste­hen auf Produkte von klei­nen Produzenten. Auch Bianchi mischt hier mit, nimmt immer mehr beson­de­re regio­na­le Produkte ins Sortiment. Ich den­ke da an Wagyu aus dem Aargau oder Apfelsäuli aus dem Thurgau? Lohnen sich sol­che Nischenprodukte?

Dario Bianchi: Absolut. Solche Produkte sind eine extrem gute Ergänzung zu unse­rem Sortiment. Das sind rich­ti­ge Premiumlinien. Regionale Produkte spre­chen Kunden an, die wis­sen, woher ihre Lebensmittel kom­men. Und wir kön­nen eine Geschichte erzäh­len. Dadurch haben die Produkte einen höhe­ren Preis und sind sicher nicht für die Masse gedacht. Aktuell bekom­men wir etwa 30 Apfelschweine pro Woche. Das ist die per­fek­te Menge. Das Produkt ist sehr exklu­siv, aber wir sind nicht sofort ausverkauft.

Die Cousins sind selbst immer wie­der beein­druckt von den Produkten. Qualität kennt bei der Bianchi AG kei­ne Grenzen.

Es gibt immer mehr Fisch aus Schweizer Zuchten wie Lachsforelle aus Bremgarten oder Zander aus Susten. Ist regio­na­ler Zuchtfisch die Zukunft?

Luca Bianchi: Zuchtfische aus der Schweiz sind sicher eine wich­ti­ge Ergänzung. Doch vie­le Köche wol­len sich hier nicht auf die Schweiz beschrän­ken, son­dern auf die Qualität fokus­sie­ren. Da ist zum Beispiel Wildfang aus Frankreich oder Holland sehr span­nend. Deshalb müs­sen wir inter­na­tio­nal am Ball blei­ben. Ausserdem macht es Spass, ein inter­na­tio­na­les Netzwerk auf­zu­bau­en und nahe am Produzenten zu sein. Beim Schweizer Zuchtfisch ist es zudem immer eine Preisfrage. Die Kosten schrän­ken den Markt ein. Und auch für den Produzenten ist es ein zwei­schnei­di­ges Schwert: Wenn man wirt­schaft­lich erfolg­reich sein will, muss man im Detailhandel ver­tre­ten sein. Dann wie­der­um ist das Produkt für den Spitzenkoch nicht mehr so interessant.
Dario Bianchi: Wenn Schweizer Zuchtfisch die Zukunft sein soll, dann muss es wirt­schaft­lich «ver­he­ben». Aber weil man das Produkt nicht bis in die Unendlichkeit ska­lie­ren kann, ist das sehr schwierig.

Bianchi ist immer auf der Suche nach neu­en Produkten. Wie scou­tet ihr den Markt im In- und Ausland?

Luca Bianchi: Unser Einkaufsteam ist täg­lich in Kontakt mit unse­ren Lieferanten auf der gan­zen Welt. Wir sind an Messen prä­sent und schau­en uns Trends an. Wir lesen viel oder set­zen uns mit dem Trendreport aus­ein­an­der. Wir sind auch pri­vat sehr food­in­ter­es­siert. Ich war gera­de erst in Mexico City. Man geht in die Restaurants und schaut, was es dort gibt. Ich habe zum Beispiel den Kanpachi aus dem Golf von Mexiko ent­deckt. Das ist eine Makrelenart. Dann haben wir geprüft, ob wir den impor­tie­ren kön­nen. Wir star­ten eine Aktion und schau­en, ob das Produkt beim Kunden ankommt. Und letzt­end­lich kommt von unse­ren Köchen viel Input. Sie kom­men mit spe­zi­fi­schen Produktanfragen und wir fra­gen sie, wel­che Grösse oder Qualität sie bevor­zu­gen und warum.

Die Bianchi-Wägeli sind fast schon legen­där. Jeden Tag kur­ven sie durch die Schweiz und belie­fern die Köche mit ihrer Ware.

Was darf man 2024 nicht verpassen?

Dario Bianchi: Wir haben eine neue Whiskey- und eine Cognacwurst im Sortiment
Luca Bianchi: Davon weiss ich gar nichts. Aber das klingt span­nend. Es gibt noch ein wei­te­res unglaub­lich coo­les Produkt in der Pipeline. Dario war kürz­lich mit eini­gen Köchen im hohen Norden, um sich Kingcrabs anzu­schau­en. Der Produzent hat ein High-Pressure-Verfahren ent­wickelt, um das Fleisch aus­zu­lö­sen. Damit gene­riert man 100 Prozent Fleisch. Das ist wirk­lich unglaub­lich. Die Kingcrabbeine kann man dann vaku­um­iert und ohne jeg­li­chen Abfall bestel­len. Das sieht wirk­lich cool aus.
Dario Bianchi: Das ist ein inter­es­san­tes Produkt, weil der Kingcrab eine inva­si­ve Krebssorte und somit eine Plage ist in Norwegen.
Luca Bianchi: Und der Kanpachi könn­te bei den Sushiköchen gut ankom­men. Den Fisch kann man sehr gut in der rohen Küche ein­set­zen. Jetzt war­ten wir auf Feedback.