Bianchi, die vierte
Generation

Ein Gespräch mit Giulio Bianchi

Vor ein paar Wochen bin ich hier mit Euren Söhnen geses­sen. Die sind jetzt in der glei­chen Situation wie ihr vor etwa 34 Jahren
Heute ist das aber ein biss­chen eine ande­re Situation. Wir sind Brüder, kom­men aus dem sel­ben Haus, aus der sel­ben Kultur. Dario und Luca sind Cousins, sie hat­ten ver­schie­de­ne Elternhäuser, der Eine aus einem eher ein sport­li­chen, der Andere aus einem eher kul­tu­rel­len. Wir bei­de hat­ten genau die glei­chen Werte mit­be­kom­men, weil wir den­sel­ben Vater hat­ten. Bis heu­te ver­ste­hen wir uns des­halb blind, klar hat­ten wir auch unse­re Krisen, aber geschäft­lich waren wir uns immer einig. Wenn wir Differenzen hat­ten, waren die­se immer emo­tio­nal bedingt.

Ist da die Hackordnung aus dem Kinderzimmer durchgedrungen?
Ja genau. Man kann das nicht genau erklä­ren, aber das gan­ze emo­tio­na­le, fami­liä­re hat da immer irgend­wie mit­ge­spielt. Aber wir konn­ten es immer lösen.

Kurz nach­dem ihr die Führung des Familienbetriebes über­nom­men hat­tet, kam ja der Umzug von Zürich nach Zufikon. Das war ja schon ein ein­schnei­den­der Moment. War da von Anfang an alles klar?
Ich war zu die­ser Zeit im Vorstand der Zürcher Altstadtvereinigung, da bekam ich natür­lich alles aus erster Hand mit, ich kann­te die Pläne der Bauleute, Pfosten auf­zu­stel­len. Damals war der Schwellen-Ruedi (Aeschbacher) im Stadtrat, und ich habe gese­hen: Die Stadt macht immer mehr zu. Da muss­ten wir uns über­le­gen: Was ist eigent­lich unser stra­te­gi­sches Erfolgspotential? Wir woll­ten der beste Logistiker der Schweiz sein. Dass konn­ten wir aus Zürich her­aus nicht. Hier hat­ten wir Platz, konn­ten bau­en, ver­kehrs­tech­nisch liegt Zufikon für die­se Zielerreichung ide­al. Wir haben Autos gekauft, wir hat­ten 60 Autos, dann 70, dann 80, haben lau­fend Touren aus­ge­baut. Das Ziel war es, alle gesamt­schwei­ze­risch täti­gen Ketten belie­fern zu kön­nen, Mövenpick gab es damals noch, Bindella war schon da. Und wir haben immer alle Investition aus dem Cash-Flow bezahlt. Jedes Fahrzeug, jede Bau-Etappe, wir brauch­ten zu kei­ner Zeit eine Bank dazu.

Ihr als 4. Generation habt das Unternehmen ziem­lich umge­baut, im Vergleich zu vor­her. Was hat sich ver­än­dert? Und was sind die Probleme von heute?
Die admi­ni­stra­ti­ven Fesseln, die uns ver­passt wer­den. Das ist ganz bru­tal, ich weiss nicht wohin das noch füh­ren soll, und ich weiss auch nicht, wie unse­re Jungs ein­mal damit umge­hen wer­den. Es ist eine unglaub­li­che Flut an Verordnungen und Vorschriften. Wir haben fast täg­lich Sitzungen mit unse­rem ISO-Chef, das ist mitt­ler­wei­le fast unser wich­tig­ster Mann. Du musst dir vor­stel­len, wir haben über 7’000 Produkte, und du musst von jedem Produkte fast 80 Informationen bereit­stel­len, da kannst du es dir ausrechnen.

Ja gut, der Wunsch der Konsumenten nach Transparenz bei den Lebensmittel ist aber schon legi­tim, nicht?
Man infor­miert sich heu­te doch auch viel mehr, man hat auch die Möglichkeiten dazu, Youtube, das Internet gene­rell, du kannst dir jede Zucht anschau­en, Die Konsumenten machen das, die Journalisten machen das, alles ist sowie­so schon trans­pa­ren­ter als je zuvor. Wir haben vor zwei Jahren ange­fan­gen, jedes ein­zel­ne Produkt abzu­fo­to­gra­fie­ren und all die­se Informationen zu jedem ein­zel­nen Produkt in unse­re Web-Shop auf­zu­li­sten. So dass jeder Kunde jeder­zeit zu jedem Produkt jede Information abru­fen kann. Das muss man heu­te machen, aber der zusätz­li­che Aufwand ist riesig.

Zurück zu eurem Vater: Was hat er euch mitgegeben?
Disziplin. Und Sozialverhalten dem Personal gegen­über. Er war ein Patron, sei­ne Mitarbeiter waren sei­ne Familie. Er hat das rich­tig vor­ge­lebt, hat jeden Lohn per­sön­lich und in bar aus­be­zahlt. Er hat jeden, der ein Problem hat­te, beglei­tet, einer hat­te ein Alkoholproblem, unser Vater hat ihm gehol­fen, ist zu ihm nach Hause gegan­gen, hat geschaut.

Wenn ich mit euren Leuten rede sagen alle etwas das­sel­be: Dass Bianchi eine sehr fami­liä­re Firma ist.
Wir sind heu­te auch viel mehr Leute. Aber es ist immer noch so, dass wir unse­ren Mitarbeitern hel­fen, wenn sie in Schwierigkeiten sind. Wir haben schon alles gemacht, wir haben Wohnungen vor­fi­nan­ziert, Autos gekauft, Scheidungen bezahlt, Sprachkurse, Weiterbildungen Schulungen, das gan­ze Programm.

Gibt es Sachen, die euch euer Vater immer gesagt hat, ihr aber gedacht habt, was soll das?
Er war weni­ger Unternehmer als wir. Er hat anders kal­ku­liert, anders gerech­net. Er war da oft viel zu lieb Aber wir haben „Dienstleistung“ gelernt. Das ist heu­te bestimmt einer der wich­tig­sten Pfeiler unse­res Erfolges, nebst der Logistik: Dienstleistung. Es gibt kein „Nein“. Wenn einer am Sonntag einen Red Snapper braucht, dann brin­gen wir ihn, egal ob er in Zürich, in Gstaad oder im Engadin ist. Das ist etwas, was wir unse­ren Jungen auch weitergeben.

Rechnet sich dann ja auch nicht unbe­dingt, wegen einem Fisch nach Gstaad zu fahren.
Kurzfristig gese­hen viel­leicht nicht. Aber die­ser Kunde ist uns ewig dank­bar. Und stell dir vor, was pas­siert, wenn wir an einem Sonntag nach Gstaad ins Palace fah­ren, dann sehen das die Leute, sie sehen, dass wir unse­ren Kunden auch mal aus der Klemme hel­fen. Sowas erzählt man sich dann.

Seht ihr euch sel­ber in euren Söhnen, wenn sie jetzt die­sel­ben ersten Schritte im Unternehmen machen, die ihr auch gemacht habt? Unsicherheit, Ungestümtheit?
Ja gewis­se Sachen schon. Sie suchen sich jetzt auch Bereiche, die wir bis­her nicht abge­deckt haben. Die Digitalisierung, zum Beispiel, ist ein gros­ses Thema, da sind sie ganz stark. Dort haben sie schon sehr viel bewegt. Und wir sind froh, dass sie es machen. Da kön­nen wir wie­der­um von ihnen lernen.

War das für euch immer schon klar, dass ihr ins Familienunternehmen ein­tre­ten wer­det? War das irgend­wie selbstverständlich?
Unser Vater hat eines Tages alle vier Kinder zu sich geru­fen und gesagt: So, lie­be Kinder, ich ver­kau­fe das Geschäft, oder einer von euch über­nimmt es. Unser Bruder woll­te nicht, er war schon ziem­lich erfolg­reich in der Immobilienbranche, die Schwester woll­te Anwältin wer­den, ich kam aus der HSG und woll­te Banker wer­den, woll­te mit mei­nen Kumpels nach New York, die Welt erobern. Paolo hat gleich gesagt, dass er es machen möch­te. Aber nicht allei­ne. Da die ande­ren bei­den nicht woll­ten, dach­te ich, ok, wir kön­nen ja mal eine Probezeit machen, ein Jahr oder zwei, und dann schau­en wir weiter.

Euer Entscheid, ein­zu­stei­gen damals war doch sicher auch ein Risiko.
Das war für uns bei­de ein enor­mes Risiko, klar. Aber wir haben immer ger­ne hier gear­bei­tet. Und tun es immer noch. Ich freue mich heu­te noch jeden Montag, dass die Woche wie­der losgeht.

Wendet ihr bei Euren Jungs den­sel­ben Massstab an wie euer Vater bei euch?
Wir sind einer­seits schon streng. Andereseits geben wir ihnen vie­le Freiheiten. Aber am Ende des Tages müs­sen sie ihre Leistungen brin­gen. Das war bei uns genau­so. Da ver­hal­ten wir uns nicht anders als unser Vater uns gegenüber.

Was denkt ihr, ist für eure Jungs die gröss­te Herausforderung, der sie sich wer­den stel­len müssen?
Das wird mit ziem­li­cher Sicherheit die Transformation sein. Als wir hier ange­fan­gen hat­ten, hat­ten wir alles jun­ge Leute um uns. Wie wir das auch waren. Die mei­sten von uns sind seit­her geblie­ben, die wer­den nicht ewig blei­ben. Unsere Garde steht jetzt auch schon rund 30 Jahre lang mor­gens um vier auf, irgend­wann ist dann auch mal gut. Es ist wich­tig, dass die Jungen ein jun­ges Team um sich bau­en, das dann auch mit ihnen wach­sen kann. Wir wer­den noch lan­ge genug da sein, die­sen Prozess zu beglei­ten, aber die bei­den müs­sen das sel­ber machen.